Von 1933 bis 1945 waren alle Sportvereine und -verbände des Deutschen Reiches gleichgeschaltet und in die staatlich gelenkte Sportbewegung zwangsweise eingegliedert. Es galt somit ab Mai 1945 traditionell aufgestellte Einrichtungen neu zu gestalten oder in alter Form fortzuführen. Der 1920 gegründete Turnverein Catlenburg begann unter der Bezeichnung TSV Blau- Weiß Katlenburg neu. Unter den Vorsitzenden Bertram, Plumhoff und Wegener nahmen die sportlichen Aktivitäten wieder Fahrt auf.
1 . Die Anfänge
Als erstes Sportgeschehen erinnere ich mich an ein Fußballspiel 1945, das von den Brüdern Hufnagel organisiert wurde und zwischen Katlenburgern und einer Auswahl der britischen Besatzung stattfand. Die Schotten hatten als Nicht- Engländer ein entspanntes Verhältnis zur hiesigen Bevölkerung.
Zug um Zug kamen die ehemaligen Sportler – soweit sie den Krieg überlebt hatten – aus der Gefangenschaft zurück. Sportverbände begannen sich zu organisieren. Die Handballabteilung, die Turner und etwas später eine Tischtennisgruppe wurden aktiv. Hierbei konnten die Handballer an eine erfolgreiche Vergangenheit anknüpfen. Die „Ehemaligen“ August Pinnecke, Willi und Walter Diederichs, Walter Risch, Helmut Römermann, Helmut Mönnig, Albert Effler u. a. wurden durch den Flüchtling Formanowski ergänzt. Sie wurden die Idole der heranwachsenden Jugend.
Der erste Trainer war Werner Schach. Der Handball in der Region hatte zunächst seine Schwerpunkte in Göttingen, Osterode und Northeim. Der TSV musste sich daher in erbittertsten Wettkämpfen unter anderem gegen Berka, Gillersheim, Elvershausen und Wachenhausen für eine höhere Spielklasse qualifizieren.
Der Sport nach dem Krieg hatte sein besonderes Gepräge. Zu Auswärtsspielen fuhr man mit dem Holzgas-LKW oder zu zweit auf dem Fahrrad. Das Lokalderby gegen Berka wurde auf einem von Walter Diederichs gemalten Plakat wie folgt angekündigt:
„Großkampftag am 25.Mai“ 13.30 Uhr Vorspiel der Jugend, 15 Uhr 1. Herren gegen die 1. Herren der SG Berka auf dem Sportplatz Katlenburg.
Im Vereinskasten – neben der Gaststätte Lohse – hatte der Sportwart Lienemann die Mannschaftsaufstellung ausgehängt. Vom Torwart über die Verteidigung, die Läufer, und die Stürmer wurde kundgetan, wer am Sonntag aufläuft. Weiter hieß es: Schiedsrichter Steingräber, Platzbau Paul Unverricht, Ordner Willi Heinze und Kassierer Eddie Wedemeyer. Es wurde zu dieser Zeit noch nach der Abseitsregel gespielt.
Einmal enthielt die Mannschaftsaufstellung den Namen Seidenschwinger: Hinter diesem Pseudonym verbarg sich Walter Diederichs. Dieser hatte im Krieg ein Auge verloren, der sorgenvolle Vater hatte ihm daher Spielverbot erteilt.
Die Geräteturner und Tischtennisspieler übten, bzw. spielten auf dem Saal der Gastwirtschaft Roddewig.
Der Uhrmacher Gläser aus Schlesien war vor dem Kriege bekannter Rennrodler. Er versuchte diese Sportart im TSV zu beleben. Theo Isermann und andere folgten seiner Anregung und rodelten mit Spezialschlitten im Harz.
2. Die Entwicklung zur Handballhochburg in Südniedersachsen:
Ich war 1947 in der zweiten Schülermannschaft beginnend bis 1955 Spieler der 1. Herrenmannschaft auf Landesebene. Die Trainerarbeit des Osteroder Lehrers Karl-Heinz Schwedes (Jugend und Herren) zeigten erste Erfolge. Kreismeister der Männer mit Aufstieg in die Bezirksklasse, Bezirksmeister der Jugend mit Teilnahme am Endspiel zur Niedersachsenmeisterschaft in Hannover.
Da man inzwischen höherklassig spielte, brauchte man eine Sportstätte mit Umkleide und Dusche. Der rührige Vorsitzende August Wegener hatte den Plan, ein Sporthaus mit Einliegerwohnung auf dem Sportplatz zu bauen. Seine Verhandlungen mit der Bezirksregierung, wegen eventueller Zuschüsse, waren erfolgreich mit der Maßgabe einen Großteil der Baukosten in Eigenleistung zu erbringen. Hierzu wurde ein leerstehendes Fachwerkhaus der Domänenverwaltung auf der Schäferei von den Vereinsmitgliedern abgerissen. Das anfallende Gebälk, Ziegel und Mauerwerk wurden abtransportiert und dann mit Hilfe der örtlichen Handwerker zum Sportheim verbaut.
Nach der staubigen und mühevollen Arbeit gab es im Vereinslokal einen Stiefel Bier als Belohnung. Ab Anfang der 50er Jahre waren die sportlichen Aktivitäten ausschließlich auf den Handball ausgerichtet. Zwei Herren-, eine Damen– und eine Schülermannschaft spielten in Blau-Weiß.
Zugleich wurde – zunächst auf der Jugendebene – der Hallenhandball eingeführt. Da keine Halle zur Verfügung stand, wurde im Dreschschuppen in einer Reithalle in Osterode und ausnahmsweise in der Kasernenhalle in Northeim trainiert. Trotz dieser Nachteile stand ich mit der Jugendmannschaft 1953 und 1954 in Delmenhorst im Endspiel um die Niedersachsenmeisterschaft. Diese erfolgreichen Jugendspieler wurden ab 1954 in die erste Herrenmannschaft übernommen.
Man wurde Bezirksmeister und stieg 1955 in die Landesliga auf. Der gesellige Teil der Mannschaften fand in der Rosendiele des Vereinslokals Ronnenberg (Appatz) statt. Besonders die Silvesterfeiern des TSV – unterstützt durch die Firma Demuth – waren Höhepunkte des Jahres.
Vor meinem Mannschaftskameraden Rolf Herrmann lag eine steile Karriere. Nach Auswahllehrgängen, zunächst als Torwart der norddeutschen Auswahl, wurde er 1955 in die Nationalmannschaft berufen. Berufsbedingte Abgänge von Spielern wurden durch Aktive der Nachbarvereine und Jugendlichen der Jahrgänge 1938 bis 1943 kompensiert.
Am Ende der Dekade war der TSV Blau Weiß Katlenburg zu den führenden Handballvereinen in Niedersachsen aufgestiegen. Die sonntäglichen Heimspiele waren auch für Zuschauer aus dem Umland ein sehenswertes Ziel.
Anmerkung:
Da die Chronik in Prosaform erstellt werden soll, habe ich für die Darstellung der Zeit von 1945 bis 1955 die Ichform gewählt. Hierdurch vermeide ich das Aneinanderreihen von Daten, Fakten und Ereignissen. Gleichzeitig können die Begebenheiten, die lediglich auf meinen Erinnerungen beruhen, in das damalige Zeitgeschehen einfließen. Der Beitrag kann daher mit meinem Namen versehen werden.
verfasst von Gerhard Brand (Vereinsmitglied von 1947 bis 1955), digital erfasst am 16.11.2020 von Jürgen Hesse
zur Fotografie
die Jugendmannschaft von 1953
Stehend von li.:Gerhard Brandt,H. Quast, Walter Bohne, Jürgen Haupt, Wilfried Möllering, Klaus Wenzel, Siegfried Quast, Helmut Mönnig.
Kniend: v.l. Horst Diederichs, Rolf Herrmann, Henne Nause